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Das Waldschwimmbad Kirchvers
Ansichtskarte aus den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts
„Der Name Kirchvers war mir so unbekannt, wie derjenige eines böhmischen
Dorfes“, schrieb der neue Lehrer Friedrich Walther am 27. April 1929 in die
Schulchronik. „Erst durch die Ausschreibung im öffentlichen Schulblatt im No-
vember 1928 las ich ihn zum ersten Male. Mein Umzug erfolgte ohne Kenntnis
der Verhältnisse und ohne vorherige Besichtigung. Warum meldete ich mich?
Ich wollte einen Ort finden, an dem ich zügig im Dienste der Schule an meiner
Fortbildung arbeiten und an dem ich nach einjähriger Trennung von meiner
Familie wieder mit Frau und Tochter zusammen leben konnte. Um das zu errei-
chen, wäre mir der kleinste Ort im entlegensten Winkel der Provinz recht gewe-
sen. Schon nach drei Wochen fühle ich mich hier, dank meiner Anpassungsfä-
higkeit, einigermaßen heimisch (…).
Meine Personalien: Friedrich Walther, geb. am 8. Oktober 1901 zu Schlüchtern,
ausgebildet auf dem Lehrerseminar zu Schlüchtern 1918 bis 1921, nach
sechseinhalbjähriger Wartezeit (ausgefüllt durch wechselnde Tätigkeiten und
Studien an der Universität Frankfurt am Main) erstmalig in den Schuldienst be-
rufen am 1. April 1928. Ab 1. April 1929 einstweilig angestellt als Lehrer in
Kirchvers (…).“


Am 25. Juni 1929 notierte Friedrich Walther:
„Bei meinen Gängen zur Erkundung der näheren Umgebung von Kirchvers kam
ich auch zum “Saurasen“, einem Ödland (Huthe), eine Viertelstunde vom Dorf
entfernt. In einem stillen Waldtal gelegen, von einem klaren Bächlein durchflos-
sen wäre das so ein richtiger Tummelplatz für die Kirchverser Jugend! Hier
könnte ein ideales Schwimmbad mit verhältnismäßig geringen Kosten errichtet
werden. Jetzt galt es, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen. Ehe ich mich an
die Werbung zur Mitarbeit unter den Dorfbewohnern machte, versicherte ich
mir das Einverständnis der Dorfverwaltung. Der Platz am “Saurasen“ ist Ge-
meindeeigentum und Herr Bürgermeister Lapp, der selbst großes Interesse für
die Anlage eines Bades zeigte, erklärte auf Befragen, dass das benötigte Grund-
stück durch die Gemeinde sofort zur Verfügung gestellt würde (ein dementspre-
chender Beschluss des Gemeinderates erfolgt demnächst!). Nun die Werbung
unter der Jugend: Nach einen aufklärenden Vortrag meinerseits waren die Zu-
hörer begeistert für die Errichtung einer Badeanstalt. Es erklärten sich sofort 29
Leute zur freiwilligen Mitarbeit bereit. Bis heute haben sich 35 in die Mitarbei-
terliste eingetragen. Am 24. Juni 1929 war ich in Marburg und trug die Angele-
genheit Schulrat Werner vor, der mir tatkräftige Unterstützung zusagte und
mich an das Kreiswohlfahrtsamt verwies. Dort war man erfreut und traute kaum
seinen Ohren, dass in Kirchvers so etwas überhaupt möglich wäre. Hocherfreut
wurde mir auch hier Unterstützung zugesagt. Das erste greifbare Ergebnis die-
ser Unterredung: Freitag, den 28. Juni 1929 kommt eine Kommission von Sach-
verständigen nach hier. Von dieser Untersuchung wird alles Weitere abhängig
sein. Hoffentlich gelingt der Plan zum Wohle der Bevölkerung von Kirchvers und
zur Freude und Ertüchtigung der gesunden Jugend unseres Dörfchens!
Kirchvers, den 2. Juli 1929: Die Kommission, bestehend aus der Kreisjugend-
pflegerin Fräulein Kraft, der Kreisschwester Gertrud, Herrn Kreisbaumeister
Schleiding und Herrn Dr. Herrmann, Lohra, war da und ihr Gutachten fiel in je-
der Beziehung gut für den ausgesuchten Platz am Saurasen aus. Herr Bürger-
meister Lapp, der ebenfalls bei der Besichtigung anwesend war, teilte einen
Beschluss des Gemeinderates mit, durch den das benötigte Gelände am
Saurasen von der Gemeinde für den Bau der Badeanstalt freigegeben wird (oh-
ne Schwierigkeiten und einstimmig wurde der Beschluss nicht gefasst, denn
einige Herren hatten Angst vor Ausgaben, die der Gemeinde durch den Bau
entstehen könnten; die finanzielle Seite des Baues will ich jedoch erst später
behandeln!). Die Arbeiten konnten also beginnen!
Sonnabend, den 29. Juni 1929, abends 9:00 Uhr berichtete ich in einer Ver-
sammlung der freiwilligen Helfer, deren Zahl inzwischen auf 42 angewachsen
war, über den Stand der Angelegenheit. Es wurde beschlossen, Montag mit
dem Bau zu beginnen. Am Montag, 1. Juli 1929, abends 7:00 Uhr fanden sich
21 Leute aus dem Dorf zusammen, um zum Saurasen zu marschieren. Dort
wurde in mehreren Gruppen gearbeitet: Abmessen und Abstecken des Gelän-
des, Rasenstücke wurden ausgehoben, um sie später an der äußeren Dammsei-
te wieder aufsetzen zu können, im künftigen Schwimmerteil begannen die Erd-
ausschachtungen. Die ausgeschachtete Erde wurde zu einem Damm aufgewor-
fen. Einige Fichten mussten gefällt werden, deren Stämme als Pfähle in den
unteren Damm gerammt wurden. Alles in allem: Eifrig und fröhlich wurde gear-
beitet, so dass am Ende des ersten Tages (halb 22 Uhr) ein gut Stück Arbeit
geschafft worden war und ein vielversprechender Anfang da ist. Hoffentlich
geht es so weiter und wir können ohne nennenswerte Schwierigkeiten (durch
etwa im Boden vorhandenen Felsen u.a. hervorgerufen!) aus eigener Kraft das
Werk vollenden.
Nun die Maße der geplanten Badeanstalt:
Länge des Wasserspiegels: 30 Meter
Länge über alles: 32,80 Meter
Breite des Wasserspiegels im Schwimmbecken: 20 Meter
Breite im Nichtschwimmerbecken: 18 Meter
Größte Wassertiefe: 2,80 Meter
Geringste Tiefe: 0,60 Meter
Krone des Dammes: 1,80 Meter breit
Fuß des Dammes: 3,50 breit, jeweils an der stärksten Stelle.
Geplant ist ferner, einen Zaun um den Platz zu ziehen und innerhalb des Zauns
ein Umkleideraum und ein Sandplatz für Sonnenbäder; vielleicht auch ein
Sprungbrett.“
Am 9. Juli 1929 trägt Friedrich Walther in die Schulchronik ein:
„Acht Arbeitstage liegen hinter uns. Der Saurasen bietet gegenüber früher ein
vollkommen verändertes Bild. Die Arbeit an der Badeanstalt läuft flott, da all-
abendlich ca. 18 junge Burschen helfen. Nachfolgend ein Bildchen vom Baube-
ginn:
Am Sonntag, den 7. Juli 1929 pilgerte eine ganze Schar von Dorfbewohnern
zum Saurasen, um selbst zu sehen, was sie bisher nicht glauben wollten. Auch
ein großer Teil der Pessimisten scheint nun nach dieser Besichtigung überzeugt
zu sein von dem Werden und der künftigen Vollendung unseres Bades.

Diese Wirkung unserer achttägigen strammen Arbeit und die Ausstrahlungen
der hellen Begeisterung meiner Helfer bekam ich in der Gemeinderatssitzung
gestern Abend zu spüren. Ich hielt dort einen einstündigen Vortrag über unsere
Badeanstalt und wünschte, dass das Gelände am Saurasen durch Hinzunahme
eines Turn- und Sportplatzes ergänzt würde, zur Ertüchtigung und Freude der
gesamten Jugend von Kirchvers. Und, ich glaubte meinen Ohren kaum zu trau-
en, anschließend an das Bad wurde vom Gemeinderat ein Platz in der Größe
von 100 mal 60 Meter zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt! Manche Arbeit
gibt’s ja noch, bis alles sachgemäß hergerichtet ist, aber wir wollen es schon
schaffen!“

In einem undatierten Eintrag im Frühjahr 1930 schreibt Walther:
„Im vergangenen Jahr mussten die Arbeiten an der Badeanstalt aus mehrfa-
chen Gründen eingestellt werden: Die Erntezeit verlangte von den freiwilligen
Helfern den Einsatz ihrer ganzen Kraft für die Einbringung der gut geratenen
Frucht. Unsere Annahme, bald in den Besitz staatlicher Unterstützungsgelder zu
kommen, wurde auch nicht erfüllt, so dass die durch Handwerker auszuführen-
den Arbeiten nicht vergeben werden konnten. Bis die ersten Gelder bewilligt
wurden, war es Winter geworden und die Witterung erlaubte keine Fortführung
der Arbeiten. Die freiwilligen Helfer gründeten zwecks besserer Organisation der
Bauarbeiten und aus Begeisterung für den Sport den „Schwimm- und Sportver-
ein Kirchvers“. Mancherlei Schwierigkeiten waren noch zu überwinden, bis vor

einigen Tagen (11. März 1930) die Arbeiten wieder aufgenommen werden
konnten; und zwar wurde in einem von der Gemeinde zur Verfügung gestellten
Platze mit Steinebrechen begonnen. Eine mühsame Arbeit! Es müssen 150 Ku-
bikmeter Steine für die Umfassungswände des Beckens und zur Ausglattierung
des Bodens gebrochen und auf die 600 Meter entfernte Baustelle geschafft
werden. Das Steinebrechen geschieht wieder durch die Burschen freiwillig und
unentgeltlich; ich selbst helfe (wie auch beim Ausschachten) mit, um die Be-
geisterung unter den jungen Leuten wachzuhalten. Für die Abfuhr der Steine
hoffe ich, Fuhrwerk aus dem Dorf zu bekommen, das sie ebenfalls kostenlos zur
Baustelle fährt.“
Anmerkung des Verfassers: Es handelt sich hierbei nicht um den Kirchverser Steinbruch an der
Landesstraße nach Krumbach, sondern um eine Stelle im Wald, die man heute über den Weg
durch das Ferienlager Berlin nach etwa 500 Metern auf der rechten Seite an einem kleinen
Bachlauf findet. Sofern die Steine nicht mit Wagen gefahren werden konnten, wurden auch die
Schulkinder zum Steinetragen eingesetzt.
„Nun etwas über die Finanzierung:
Der oberste Grundsatz für den Bau der Badeanstalt ist im Hinblick auf die
schlechte Finanzlage der Gemeinde: Der Gemeinde Kirchvers dürfen keine Un-
kosten durch die Anlage des Bades entstehen. Staatliche Zuschüsse werden
aber nur dann gegeben, wenn die Gemeinde ein Drittel der Kosten zur Badean-
stalt leistet. Es müsste demnach das Drittel der Gemeinde durch kostenlose
freiwillige Mitarbeit von Helfern aufgebracht werden. Folgende Zusammenstel-
lung zeigt die Aufbringung der Mittel:
Gemeindeanteil (1. bis 3.):
1. 750 Kubikmeter Erde ausschachten à 1,50 pro Kubikmeter
1.125.-
(freiwillige Arbeit der Burschen!)
2. 250 Kubikmeter Steine brechen und auf die Baustelle schaffen à 7,50
1.750.-
(wie oben!)
3. 1.200 Quadratmeter Bauplatz von der Gemeinde zur Verfügung gestellt
400.-
4. Zuschuss des Kreises
800.-
5. Zuschuss des Regierungspräsidenten (Jugendwohlfahrtsamt)
800.-

6. Zuschuss der Regierung, Abteilung für Kirchen und Schulwesen
1.000.-
7. Zuschuss der Arbeitsgemeinschaft für soziale Fürsorge
1.000.-
8. Zuschuss des Landeshauptmanns
700.-
zusammen 7.575.-
(Walther, 12. Mai 1930)“
„Die Badeanstalt auf dem Saurasen geht ihrer Vollendung entgegen. Am 27. Juli
1930 soll die feierliche Eröffnung sein. Vom Baubeginn bis zur Vollendung war
es ein mühevoller Weg.
Nach dem Steinebrechen (es wurden 205 Kubikmeter gebrochen!) wurde wie-
der jeden Abend an der Badeanstalt gearbeitet. Die Maurerarbeiten wurden
durch die Firma Peter Becker, Kirchvers, nach den Plänen der Bauberatungsstel-
le ausgeführt. Die Erstellung der Umkleidehalle hatte die Firma W. Rücker, Wei-
poltshausen, übernommen. Die Handwerker konnten erst verhältnismäßig spät
mit der Ausführung ihrer Arbeiten beginnen, da die Baugenehmigung lange
ausblieb. Um mit den Arbeiten fertig zu werden, arbeiteten die Burschen sogar
nachts. Trotzdem mussten noch Arbeiter gegen Bezahlung eingestellt werden.
Die Mittel hierzu werden von den ersten Einnahmen genommen, so dass die
Gemeinde finanziell nicht in Anspruch genommen wird. Die nachfolgenden Bild-
chen informieren besser über das Geleistete als Worte es vermögen.
Die ganze Umgegend sieht der Eröffnung mit großem Interesse entgegen.
Selbst die Zeitungen bringen Nachrichten über den Stand der Arbeiten.
Diese Notiz, die in fünf Zeitungen erschienen war, lockte schon viele Badelusti-
ge von auswärts an, so dass fast kein Tag verging, an dem nicht mehrere Autos
zum Saurasen fuhren:
Kirchvers, Kreis Marburg, 14. Juni (Schwimmbad) In den nächsten Tagen geht
wohl das schönste Freibad unserer engeren und weiteren Heimat seiner Vollen-
dung entgegen. In einem stillen Waldtal, auf drei Seiten von bewaldeten Berg-
lehnen umschlossen, liegt das Bad, geschützt vor widrigen Winden, in der un-
mittelbaren Nähe von Kirchvers. Ein klares Bergwasser speist das Badebecken.
Die Sonne sorgt für genügend Erwärmung. Vor knapp einem Jahre wurde das
Werk auf Anregung des Kirchverser Lehrers Walther in Angriff genommen.
Durch staatliche Unterstützung und die selbstlose Mithilfe der sportbegeisterten
Jugend war die Errichtung ohne finanzielle Beteiligung der Gemeinde möglich.(…).

Kurz vor der Einweihung musste noch mal kräftig gearbeitet werden, damit am
Eröffnungssonntag alles in Ordnung war. Plakate und Zeitungsnotizen sorgten
nochmals für die nötige Reklame:
Kreis Marburg
Kirchvers, 25. Juli. Vor einigen Wochen berichteten wir über das Kirchverser
Waldschwimmbad. Unvorhergesehene Widerstände verzögerten die Eröffnung.
Nun soll nächsten Sonntagnachmittag das herrlich gelegene Bad seiner Be-
stimmung übergeben werden. Ein gutgewähltes, reichhaltiges Programm wird
den Feierstunden ein würdiges Gepräge geben. Der Marburger Schwimmverein
kommt mit seinen besten Kräften, um den Zuschauern die Schönheiten des
Schwimmsportes zu zeigen. Während der sportlichen Vorführungen ist auf dem
Festplatz Konzert.
Das Dorf hatte im Laufe des Sonntagnachmittags Festschmuck angelegt: Fah-
nen und Girlanden schmückten die Häuser und den Festplatz am Saurasen.
Über den Festsonntag am 27. Juli 1930 berichtete der von der Oberhessischen
Zeitung, Marburg, nach hier entsandte Berichterstatter:
Einweihung des Waldschwimmbades Kirchvers
Als sich der Marburger Schwimmverein am Sonntag um 9 Uhr am Südbahnhof
versammelte, zog sich der erst vielversprechende Himmel unerlaubterweise zu
und drohte mit Wasser. Und richtig, sobald man wohlverpackt im Abteil saß,
öffneten sich seine Schleusen. Bis Niederwalgern gings noch, als uns dann aber
der rasende Roland nach Damm brachte, ward es finster und nass. Zunächst
flüchtete man unter das schützende Dach des dortigen Wartesaales. Durch
Grammophonspielen hoffte man, den Regen zu verscheuchen. Dieser ließ sich
aber nicht bange machen und wirkte weiter. Mit Badekappen und –mänteln uni-
formiert, bewegte sich die vergnügte Schar, etwa 80 Damen und Herren, in
aufgelöster Schützenkette nach dem etwa 7 Kilometer entfernten Dorf Kirch-
vers, das man gegen halb 12 Uhr erreichte.
Rein äußerlich zeigte sich die festliche Stimmung, die hier mit Recht herrschte,
durch Fahnen und Girlanden und durch ein geräumiges Bierzelt, unter dem das
ursprünglich im Freien vorgesehene Frühstück stattfand. Allmählich wurde auch
das Klima etwas manierlicher, und die Befürchtung, dass der schlechten Witte-
rung wegen das Schwimmen im Saale stattfinden müsse, traf nicht ein. Als um
zwei Uhr die Kapelle des Krofdorfer Musikvereins auf der Bildfläche erschien,
wurde es hochoffiziell, und die eigentliche Veranstaltung begann. Es bildete sich
ein Festzug, der sich durch das Dorf und dann hinaus ins Grüne bewegte. Vor-
neweg die von der Gemeinde gestellten Ehrenjungfrauen mit Schärpen in den

Farben des Kirchverser Schwimmvereins. Dahinter die Herren und der Kirchver-
ser Schwimmverein. Das Ganze ein Festzug, der eine beträchtliche Länge hatte.
In viertelstündigem Marsch erreichte man das Waldbad, das wegen seiner idylli-
schen Lage am Ende eines schmalen Bachtales in seiner Art wohl als eines der
Schönsten von ganz Mitteldeutschland genannt werden kann. Das 30 mal 25
Meter große Bassin von 1300 Kubikmeter Fassungsvermögen wird durch die
klaren Fluten des gestauten Baches ständig mit frischem Wasser versorgt und
ist hygienisch einwandfrei. An seiner Vorderseite befindet sich ein langgestreck-
ter zweiflügeliger Holzbau, in dem die offenen und geschlossenen
Auskleideräume untergebracht sind. Die übrigen drei Seiten des Beckens sind
von Wiesen begrenzt, die in den Wald führen und herrliche Gelegenheit zu Luft-
und Sonnenbädern bieten. Kaum ein Fleckchen Erde in unserer Heimat ist für
die Anlage eines derartigen Bades geeigneter und schöner. Auch höheren An-
forderungen des Schwimmsportes ist Rechnung getragen: zwei Sprungbretter in
ein und zwei Metern Höhe geben zu Sprüngen Gelegenheit (…). Bei Eintreffen
des Festzuges hatte sich schon eine beträchtliche Zuschauermenge eingefun-
den, deren Zahl sich im Laufe der Veranstaltung auf rund 1.000 erhöhte. Nach
einem von der Krofdorfer Kapelle gespielten Musikstück begrüßte Lehrer Wal-
ther, die Seele des ganzen Kirchverser Schwimmsportgedankens, die erschiene-
nen Gäste und berichtete über die Entstehung des Waldschwimmbades, das in
mühsamer und zäher Arbeit in den Feierabendstunden und sogar die Nächte
hindurch von den jungen Burschen des Dorfes errichtet wurde (…).
Als nächster ergriff Diplom-Ingenieur Stork von der Beratungsstelle des Kreises
Marburg, dem die Überwachung des Baues oblag, das Wort (…).
Die Grüße der Regierung und der Kreisverwaltung überbrachte Herr Schulrat
Geldner (…).
Sodann richtete Lehrer Simon vom Kreislehrerverein das Wort an die Anwesen-
den und stellte fest, dass Kirchvers die erste Gemeinde des Kreises sei, die ein
so praktisches und schönes Schwimmbad aufweisen und damit den Schwimm-
sport ausüben könne, der ein Stiefkind der Landschulen sei, weil die Vorausset-
zungen für seine Betreibung fehlen. Kirchvers ist nun in den Stand gesetzt,
durch die gesündeste aller Sportarten fortschrittlichen Geist in die Landbevölke-
rung zu tragen (…).
Sodann begannen die Vorführungen des Marburger Schwimmvereins (…). Wei-
ter wurden Herren-Staffeln in Brust- und Rückenlage sowie im Freistil ge-
schwommen. Beim Streckentauchen wurden außerordentlich gute Leistungen
erzielt. Größte Strecke: 42 Meter. Sehr lehrreich waren die Rettungsvorführun-
gen (…). In großer Form zeigten sich die Meister des Sprungbretts, die zum
Abschluss ihrer Vorführungen durch gewollte minderwertige Leistungen einen
großen Heiterkeitserfolg erzielten. Das Büttenrudern machte viel Spaß und
brachte Leben in die Bude. Es ist gar nicht einfach, ein Waschfass als Rennboot

zu benutzen, zumal was die Stabilitätsfrage anbelangt. Trotz größter Anstren-
gungen der Kapitäne kenterten die meisten Schiffe. Ein Wasserballspiel bildete
den Abschluss (…).
Der Gießener sowie der Wetzlarer Schwimmverein hatten ansehnliche Abord-
nungen geschickt; weiter waren noch Pfadfindergruppen und eine Schule aus
Fellingshausen erschienen. Die Tageseinnahmen waren befriedigend und trugen
zur Deckung der Unkosten bei. Nicht genug Dank und Anerkennung können
Herrn Lehrer Walther gezollt werden, der sich mit seiner ganzen zielbewussten
Persönlichkeit dafür einsetzte, den hohen sittlichen und erzieherischen Wert des
Schwimmsportes der ansässigen Bevölkerung nahe zu bringen und sie zur freu-
digen Mitarbeit zu veranlassen. Wahrlich ein Volkserzieher im idealen Sinn!
Nachdem Lehrer Walther im Namen der Gemeinde und des Herrn Bürgermeis-
ter Dankesworte an den Marburger Schwimmverein gerichtet hatte, begab sich
dieser nach Fronhausen. Von dort aus übernahm die Deutsche Reichsbahn die
Aufgabe. Summa: eine wohlgelungene Sache. „Gut Naß!“
Friedrich Walther vermerkte auf diese Presseveröffentlichung hin in der Schul-
chronik:
„Nach meinem Empfinden ist in diesem Artikel meine Person zu sehr hervorge-
hoben worden, so dass ich mich verpflichtet fühlte, die Marburger Oberhessi-
sche Zeitung um die Aufnahme der nachstehenden Zeilen zu bitten, (die dann
auch in der Oberhessischen Zeitung veröffentlicht wurden, Anmerkung des Ver-
fassers):
Kirchvers, 1. August. Ergänzend zu unserem Bericht über die Einweihung des
Kirchverser Waldschwimmbades erfahren wir von unterrichteter Seite: Neben
der rastlosen und aufopfernden Tätigkeit des Herrn Lehrer Walther ist die Ent-
stehung der Badeanlage Herrn Bürgermeister Lapp, Kirchvers, zu verdanken. Er
verstand es, die Gemeindevertretung für das Werk zu interessieren und alle
entstehenden Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Ohne seine selbstlose
Mithilfe wäre das Werk nicht vollendet worden, sondern es wäre durch die star-
ke, versteckte Gegenpropaganda zu Fall gebracht worden.
Kirchvers, im August 1930, Walther“.
Erster Schwimmmeister war Heinrich Luh, den Kiosk betrieb Georg Bender, der
in späteren Jahren auch für die Badeaufsicht verantwortlich war.

Friedrich Walther wurde zum 1. Oktober 1931 nach Marköbel im Hanauer Land
versetzt. Er kehrte später aus dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr zurück. Sein
14
Nachfolger als Lehrer in Kirchvers wurde Hans Jordan aus Harleshausen bei
Kassel.
Unter der Leitung von Lehrer Jordan wurde in den Jahren 1935 bis 1938 die
Umkleidehalle versetzt, der Zaun grundlegend erneuert und der Naturdamm
durch eine Betonmauer ersetzt. 39 Burschen und Männer halfen ebenso dabei
wie insgesamt 65 Schulkinder. Zusammen arbeiteten die Helfer erneut 3.037
Stunden, wie Lehrer Jordan genau notierte. Damit fielen für den Betondamm
nur Kosten in Höhe von 449 Reichsmark an, für die Lehrer Jordan eine Bürg-
schaft übernahm. Der Kreis Marburg und die Regierung beteiligten sich schließ-
lich mit jeweils 200 Reichmark.
Im Mai 1938 schrieb Lehrer Jordan:
„Unser Bad haben wir auch wieder verbessert. Ungefähr 150 Quadratmeter des
Nichtschwimmerbeckens sind betoniert. Das Wasser hält gut, die Arbeiten wur-
den wieder freiwillig geleistet. Zur Deckung der Unkosten hat uns der Kreis 100
Reichmark bewilligt. Das Badewetter lässt leider auf sich warten.“
Seit dem 1. August 1947 verwaltete Hans von Spiegel, geboren am 16. Februar
1912, die Lehrerstelle in Kirchvers. Er notierte im November 1949 zum Wald-
schwimmbad als Rückblick auf das zu Ende gehende Jahr in die Schulchronik:
„Da seit 1939 nichts mehr an dem Schwimmbad gemacht worden ist, geriet
diese einst so schöne Anlage immer mehr in Verfall. Heute ist eine Mauer be-
reits gänzlich eingefallen, eine andere droht einzustürzen. Die kostspielige Um-
kleidehalle war nur noch ein jämmerlicher Trümmerhaufen! Vom Kreis und erst
recht nicht von der Gemeinde war eine Unterstützung zu erhoffen. So lautete
die Parole: Selbsthilfe! Ich organisierte einen freiwilligen Arbeitsdienst, an dem
sich die Schulkinder sowie ein Teil der schulentlassenen Burschen beteiligten.
Ende Mai, Anfang Juni ging es an die Arbeit. Zunächst wurde in mehr als 250
Arbeitsstunden der stellenweise 40 cm hohe Schlamm aus dem Becken entfernt
und damit die Voraussetzung für ein hygienisch einwandfreies Badewasser ge-
schaffen. Dann flickten wir mit den Überresten des abmontierten Hallenteiles
den noch einigermaßen erhaltenen Teil der Umkleidehalle aus, so dass die mit
neuer Dachpappe versehene Resthalle jetzt wieder allen Anforderungen genügt.
Auch das 1-Meter-Sprungbrett konnte repariert und wieder aufmontiert werden.
Am 27. Juni 1949 wurde der Badebetrieb bei 19 Grad Celsius Wassertemperatur
durch die Schule aufgenommen. Die höchste Wassertemperatur hatten wir am
16. Juli 1949 mit 22 Grad. Aber auch an diesem Tag gab es noch einige was-
serscheue Jungen, die da nicht freiwillig ins Wasser gingen. Bei diesen Unver-
besserlichen ist eben “Hopfen und Malz“ verloren. Am 16. Juli 1949 konnten

drei Jungen und vier Mädchen das Freischwimmerzeugnis erwerben (15 Minu-
ten Schwimmen). Bei einem am 6. September 1949 durchgeführten Wett-
schwimmen legten Gottfried Abel (13 Jahre) die Strecke von 50 Metern in 57,4
Sekunden und Karl Paulick (12 Jahre) in 59,4 Sekunden im Bruststil zurück.
Schnellste Schwimmerin war Lotte Naumann mit 60 Sekunden. Von den zur Zeit
insgesamt 12 Mädchen der Oberstufe (5. bis 8. Klasse) können jetzt schon 10
Kinder ein- bzw. mehrmals durchs Becken schwimmen, während ich bei den 15
Jungen immer noch 6 Nichtschwimmer habe. Auch hier beim Schwimmen zeigt
sich immer wieder, dass die Mädchen geschickter und eifriger sind als die Jun-
gen! Auch das 1. bis 4. Schuljahr hat in diesem Jahr gute Fortschritte im
Schwimmen gemacht. Beide Lehrkräfte erwarben in diesem Frühjahr den
Grundschein der DLRG. Der letzte Badetag der Schule war am 12. September
1949, Wassertemperatur: 19 Grad Celsius. Die Jahreseinnahme an Eintrittsgel-
dern betrug rund 50 DM (Auswärtige 20 Pfennig, Ortsansässige 10 Pfennig,
Schulkinder frei). Es muss hervorgehoben werden, dass unser Schwimmbad vor
allem bei den zahlreichen auswärtigen Besuchern sich zunehmender Beliebtheit
erfreut, während die hiesigen Bauern dieser gemeinnützigen Einrichtung gera-
dezu ablehnend gegenüber stehen.“
Hier endet die alte Schulchronik von 1878 bis 1949. Der nachfolgende Band
wurde leider wie viele andere wertvolle Dokumente das Opfer einer größeren
Vernichtungsaktion von Kirchverser Akten in der zweiten Hälfte des vergange-
nen Jahrhunderts.
Zu Beginn der 60er Jahre war für das Waldschwimmbad eine umfassende Re-
novierung notwendig geworden, die das Dorf Kirchvers erneut vor eine beson-
dere finanzielle Herausforderung stellte. Mit einer bedeutenden Unterstützung
des Landes Hessen und des Kreises Marburg konnte die bis dahin umfassenste
Modernisierung verwirklicht werden.

Die Oberhessische Presse schreibt am 28. Juni 1965:
„Erhaltung der Volksgesundheit fördern“
Innenminister Heinrich Schneider sprach auf der Einweihungsfeier des renovier-
ten Bades in Kirchvers
Kirchvers (po). Für die Gemeinde Kirchvers im Südzipfel des Kreises Marburg
kam ein langersehnter Tag. Im Beisein von Innenminister Heinrich Schneider
wurde das renovierte Waldschwimmbad wieder seiner Bestimmung übergeben.
Die Umbauarbeiten, die in mehreren Etappen vor sich gingen, kosten rund
200.000 DM. Dazu erhielt die Gemeinde einen Zuschuss von 95.000 DM aus
dem Rot-Weißen Sportförderprogramm. Für diese Unterstützung dankte Bür-
germeister Konrad Becker im Namen seiner Gemeinde. Noch nie sei in Kirchvers
bei einer Feier ein Minister zugegen gewesen.
Strahlender Sonnenschein lag über dem Waldschwimmbad, als der Männerge-
sangverein unter Leitung von Karl Nöllge die Feierstunde eröffnete. Und dieses
herrliche Badewetter schien das beste Omen für die neue Saison zu sein. Zwar
hat Kirchvers das älteste Schwimmbad im Kreis Marburg und sicher eines der
idyllischsten Bäder ganz Hessens, aber die Besucherzahlen blieben hinter den
Erwartungen zurück. Das Wasser ließ zu wünschen übrig. Die Anlage musste
renoviert werden. Diese Forderung stellte die kleine Gemeinde vor eine fast
unlösbare Aufgabe. Die Schwierigkeiten wurden dank Mithilfe höherer Stellen
gemeistert, wie Bürgermeister Konrad Becker sagte, der die Gäste begrüßte
und auf die Bedeutung des Schwimmsportes für die Gesundheit hinwies. Becker
skizzierte die Entwicklung des Kirchverser Bades, das im Jahre 1960 aus hygie-
nischen Gründen vorübergehend geschlossen wurde. Während des Umbaues in
den vergangenen vier Jahren konnte man den Badebetrieb mit Hilfe einer
Chlortropfanlage mühsam aufrechterhalten (…). Innenminister Heinrich Schnei-
der erklärte, die Eröffnung des Schwimmbades biete der Bevölkerung Möglich-
keiten einer sinnvollen, gesundheitsdienlichen Freizeitgestaltung (…). Den ein-
seitigen Belastungen in der modernen Arbeitswelt müsse man einen vollwerti-
gen Ausgleich, vornehmlich auf dem Gebiet der körperlichen Betätigung, entge-
gensetzen. Der Minister dankte den beteiligten Firmen und Mitarbeitern an die-
sem Werk und überreichte Bürgermeister Becker zur Erinnerung an diesen Tag
einen Rettungsring. Unter dem Beifall der Bevölkerung ließ Schneider durchbli-
cken, dass es zur Deckung der unvorhergesehenen Mehrkosten des Umbaues
noch Mittel und Wege gäbe (…). Die Glückwünsche der Stadt Gießen, die durch
ein Jugendzeltlager mit der Gemeinde Kirchvers verbunden ist, brachte Stadtrat
Deibel als Sportdezernent. Ein Schulmädchen überreichte dem Minister ein
Strauß roter Rosen, der Schulchor und der Gesangverein „Germania“ sangen.
Die Liegewiese zwischen Licht und Schatten des Waldsaumes war leer, als die
Mitglieder der DLRG Marburg in die kühlen Fluten tauchten und eine halbe

Stunde Rettungsschwimmen demonstrierten. Es ist nicht mehr die grünlich
schimmernde Badeanstalt von Kirchvers. Es ist ein modernes, hygienisches
Schwimmbad mit Umwälzanlage und glasklarem Wasser geworden, das mit
dem Bad mancher größeren Gemeinde konkurrieren kann.“
Neben dem Zeltlager der Stadt Gießen, das im Jahr 1968 durch das Bezirksamt
Wilmersdorf der Stadt Berlin für die Kinder- und Jugenderholung übernommen
wurde, hatten zwischenzeitlich auch die Marburger Campingfreunde in unmit-
telbarer Nähe des Bades ein Domizil für ihre Wohnwagen gefunden.
Zu den zahlreichen Schwimmmeistern gehörten unter anderen die Herren Wolf-
gang Fleischhauer (1965), Holm Mrazek aus der ehemaligen DDR, der den Eu-
roparekord im 200-Meter-Brustschwimmen innehatte (1966), Rolf Steinbach
(1967 bis 1974) und ergänzend Jochen Steinbach (1973), Volker Sohn (1974)
sowie Wolfgang Willershausen (1975) und Egon Utech (1975 und mehrere Fol-
gejahre).
Ab dem Jahr 1974 war dann die neue Großgemeinde Lohra für den Betrieb des
Waldschwimmbades verantwortlich. Ende der 70er Jahre reifte bei den Ge-
meindeverantwortlichen der Entschluss, das Bad erneut zu modernisieren. Im
Jahr 1981 wurde mit umfassenden Bauarbeiten begonnen. Was jedoch hoff-
nungsvoll begann, endete aber nicht so: Nicht nur, dass mit der Renovierung
„in das vorhandene Becken hinein“ die Wasserfläche geringer wurde und das
Ausbetonieren des Schwimmerteils das Anbringen der beliebten Sprungbretter

aufgrund der nun zu geringen Wassertiefe für alle Zeit unmöglich machte; nein,
auch die Kosten gerieten außer Kontrolle und verdoppelten sich gegenüber den
ersten Berechnungen. Der Misserfolg gipfelte dann wenige Jahre später in den
nun deutlich sichtbaren Bauschäden. Beweissicherungsverfahren und gerichtli-
che Auseinandersetzungen folgten. Und dann im Sommer 1991 der Schock für
alle Badefreunde der Region und der zahlreichen Feriengäste -mittlerweile hat-
ten auch die hessische Jugendfeuerwehr und der St-Elisabeth-Verein Marburg
mit großem Aufwand Feriencamps in Kirchvers eingerichtet: Das Schwimmbad
bleibt geschlossen.
Es war allen Interessierten klar, dass jetzt schleunigst die Kräfte gebündelt
werden mussten. Am 26. August 1991 wurde das Bürgerforum Versbachtal ge-
gründet, ein Verein, der bald darauf ins Vereinsregister eingetragen und vom
Finanzamt als gemeinnützig anerkannt wurde. Zu den Zielen des Vereins gehör-
te aber nicht nur die Rettung des Bades, vor allem für die Kinder und Jugendli-
chen. Auch andere Defizite und Ärgernisse, wie zum Beispiel der noch immer
nicht vorhandene Kindergarten für den zweitgrößten der zehn Ortsteile der Ge-
meinde Lohra, sollten auf diese neue Weise angegangen werden. Zum ersten
Vorsitzenden des Bürgerforums wurde der Lehrer Thomas Zwingmann gewählt.
Bereits am 26. September 1991 überreichte Thomas Zwingmann an Bürger-
meister Hermann Brand einen Stapel Unterschriftenlisten, auf denen 822 Perso-
nen ihrem Wunsch nach Erhaltung des Waldbades Nachdruck verliehen. Die
politisch Verantwortlichen in den Gemeindegremien taten sich aber schwer. Un-
verbindlichen Verständnisbekundungen an die Schwimmbadfreunde folgten
aber eindeutige Verweise auf die fehlenden Haushaltsmittel für eine erneute
Renovierung. Selbst die im Parlament vertretenen Lehrer, sozusagen Kollegen
des Schwimmbaderbauers Walther, sprachen sich gegen den weiteren Erhalt
dieser Sozialeinrichtung aus. Ein Sanierungskonzept des Gemeindebauamtes
sah Kosten von etwa 2.000.000 DM voraus. Folgende Mängel wurden darin
aufgezählt: Fehlender Kanalanschluss, undichtes Becken, veraltete zum Teil nur
noch eingeschränkt arbeitsfähige Technik, Nichteinhaltung von Sicherheitsbe-
stimmungen, veraltete Umkleidekabinen, zu kleine und unzureichende Toiletten.
Aber ein Bäderexperte aus Iserlohn, der allein für sein Gutachten fast 50.000
DM erhielt, konnte noch mit weit höheren Zahlen aufwarten. Herr Dierk
Borchmann hielt das Schwimmbad für einen Totalschaden, der mit mehr als
3.000.000 DM saniert werden müsse – den fehlenden Kanalanschluss noch
nicht inbegriffen!
Die ordnungsgemäße Entsorgung der Toilettenabwässer und des Filterrück-
spülwassers war das größte Problem. Zwar hatten die Recherchen ergeben,
dass das Kirchverser Bad bei weitem nicht das einzige Freibad ohne Kanalan

schluss in Hessen war und auch anderenorts mit einer Drei-Kammer-Klärgrube
gearbeitet wurde, aber die aktuellen gesetzlichen Bestimmungen ließen eine
kompromisslose Haltung der Behörden zu. In zahllosen Telefonaten, Schrift-
wechseln und direkten Besuchen in den beteiligten Verwaltungen bis hin zum
Hessischen Umweltministerium wurde schließlich eine Übergangslösung mit
Containern für die Zeit bis zum Kanalbau gefunden. Unter Hinweis auf die damit
verbundenen Kosten und den alsbald beabsichtigten Kanalanschluss wurde von
der Gemeinde Lohra als Eigentümerin des Grundstücks jede Übergangslösung
abgelehnt. So ging auch das Jahr 1992 ohne Badebetrieb vorbei. Zu Beginn des
Jahres 1993 nahm das Bürgerforum einen in öffentlichen Sitzungen gemachten
Vorschlag auf, für das Bad eine Patenschaft zu übernehmen und den Badebe-
trieb 1993 auf eigene Verantwortung durchzuführen. Die aufgenommenen Ver-
handlungen mit dem Gemeindevorstand endeten mit einem Gespräch am
21. Juni 1993, in dem der Gemeindevorstand dem Vereinsvorstand mitteilte,
dass man das Bad in diesem Zustand nicht guten Gewissens abgeben könne.

Mittlerweile tauchten neue Kostenschätzungen für den Kanalbau auf: Ging man
anfangs noch von 300.000 DM aus, wurden nun Spitzenwerte von bis zu
800.000 DM genannt. Das Bürgerforum wandte sich zwecks Bezuschussung der
Kanalisierung auch an das Hessische Innenministerium, Sozialministerium und
Umweltministerium.
Die bis dahin so tragische Geschichte des ersten Freibades im Landkreis hatte
mittlerweile das Interesse der ganzen Region geweckt. Die Zeitungen berichte-
ten in regelmäßigen Abständen in ausführlichen Artikeln über den Sachstand,
bei den Sitzungen der Gemeindevertretung waren oft Dutzende Badefreunde als

Zuschauer anwesend. Gerade auf der Ebene der politischen Gremien brachte
das Jahr 1993 eine entscheidende Wende. Zwar hatte der außerparlamentari-
sche Druck durchaus seine Spuren bei den Kommunalpolitikern hinterlassen und
dafür gesorgt, dass zwei Jahre nach der Schließung das Thema Waldschwimm-
bad immer noch aktuell war. Zur Kommunalwahl 1993 trat jedoch die überpar-
teiliche Wählervereinigung “Bündnis für Bürgernähe (BfB)“ erstmals an und
verbuchte einen ungeahnten Erfolg. Die traditionelle Mehrheit einer Partei im
Parlament wurde gebrochen und man zog aufgrund von fast 20% der Wähler-
stimmen mit sechs Mandaten in die Gemeindevertretung Lohra ein. Das Bünd-
nis für Bürgernähe war mit der klaren Aussage in die Wahl gegangen, das
Waldschwimmbad zu retten. Und bereits für das Jahr 1994 stand eine erste Ra-
te für den Kanalbau im gemeindlichen Haushaltsplan.
Parallel dazu wurde nun auch ein realistisches Konzept zur Badsanierung voran
gebracht. Gute Kontakte aus Kirchvers zu den Stadtwerken Gießen schufen die
Voraussetzung für eine neue Sanierungsstudie. Dieses Konzept rechnete nur
noch mit voraussichtlichen Kosten in Höhe von 950.000 DM. Immer noch eine
Menge Geld. Die frühere Idee einer Schwimmbadpatenschaft wurde jetzt noch
erheblich erweitert. Am 20. Juli 1994 gründete sich im Kirchverser Bürgerhaus
der Förderverein Waldschwimmbad, der sich zum Ziel setzte, das Bad alleine zu
renovieren und später völlig eigenverantwortlich zu führen. Mit der gleichen
Begeisterung und Zuversicht wie einst im Jahr 1929 machten sich die Freiwilli-
gen unter der Leitung des 1. Vorsitzenden Gerd Schnug an die Arbeit.
Und was erneut so mancher nicht für möglich hielt trat ein: Nach insgesamt
über 4.400 Arbeitsstunden folgte am 24. Juni 1995 die erneute Wiedereröff-
nung.Obwohl man sich an die Pläne der Gießener Stadtwerke hielt, kostete die Reno-
vierung dank der ehrenamtlichen Arbeit der Helfer und vieler großzügiger Fir-
menspenden nur 75.000 DM. Dazu kamen die Ausgaben für den Kanalanschluss
für das komplette Naherholungsgebiet, die aber dank Firmenunterstützung
ebenfalls nur einen Bruchteil der ursprünglich genannten Summen von 300.000
bis 800.000 DM ausmachten. Die Gemeinde Lohra sagte zudem einen jährlichen
Betriebskostenzuschuss in Höhe von 50.000 DM zu, der aufgrund des erfolgrei-
chen Wirtschaftens des Fördervereins alsbald auf 30.000 DM gesenkt wurde
und aktuell 15.000 € jährlich beträgt. In den folgenden Jahren nach der Neuer-
öffnung wurde beständig an der Weiterentwicklung des Bades gearbeitet. Dem
Einbau einer neuen Filteranlage, bei dem das Land Hessen sich mit etwa 200.000 DM aus der Grundwasserabgabe beteiligte, folgte auch die Schaffung
eines gesonderten Baby-Beckens.
Das kombinierte Becken ist ca. 28 Meter lang und 17,50 Meter breit, im Nicht-
schwimmerbereich beginnt die Wassertiefe bei 0,84 Meter und steigt bis auf
2,77 Meter an der tiefsten Stelle im Schwimmerbereich an. Das quadratische
Baby-Becken hat eine Grundfläche von 25 qm. Insgesamt ist das Schwimmbad-
gelände 6.790 qm groß.

Im Jahr 1998 erhielt der Förderverein Waldschwimmbad für seine herausragen-
de Leistung in Stuttgart den Konrad-Adenauer-Preis. Durch die allgemeine Fi-
nanzkrise auf Gemeindeebene ist das Kirchverser Modell mittlerweile landesweit
bekannt und diente schon mehreren anderen Gemeinden bei deren Bemühun-
gen um den Erhalt ihrer Bäder als Vorbild. Den höchsten Besucherzuspruch er-

fuhr das Bad im Jahr 2003. Bedingt durch das gute Sommerwetter konnten
40.000 Badegäste gezählt werden.
„Wenn der Mensch sich etwas vornimmt, so ist ihm mehr möglich, als man
glaubt“ sagte der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi. Sein Kollege Friedrich
Walther nahm ihn beim Wort und schuf zusammen mit den jungen Leuten von
Kirchvers eine bemerkenswerte Einrichtung. Auch wenn das Bad seit jeher eine
Begegnungsstätte von Alt und Jung quer durch alle Generationen darstellt, ist
es doch besonders beliebt bei den Kindern und Jugendlichen in der Region und
den jungen Sommergästen in den umliegenden Ferienlagern. Das Wald-
schwimmbad Kirchvers: Auch ein Beispiel für eine gelungene Kinder- und Ju-
gendarbeit.
Das Jahr 2005 stellt für das Kirchverser Waldschwimmbad ebenfalls ein Jubilä-
umsjahr dar. Vor genau 75 Jahren wurde es gebaut, vor 40 Jahren wurde es
nach einer Renovierung im Beisein des Hessischen Innenministers wiedereröff-
net und vor zehn Jahren konnte der Förderverein das Waldschwimmbad nach
abermaliger Renovierung erneut der Bevölkerung zur Verfügung stellen.

Quellenangabe
Schulchronik der Gemeinde Kirchvers
Archiv der Gemeinde Lohra
Archive des Bürgerforums Versbachtal und des Fördervereins
Waldschwimmbad